Let’s Read “White Night” / Teil 1: Schattenspiel

Ich gebe es zu: Ich bin ein Angsthase. Aus diesem Grund hatte ich Horrospiele bisher eher gemieden – auch wenn ich das Genre als gleichermaßen faszinierend empfinde. Aber was will man machen? Die Angst ist zu groß. Bei “White Night” hat meine Neugier dann doch einmal gesiegt. Zu spannend ist die Film-Noir-Atmosphäre, die das Spiel ausstrahlt. Und wie schlimm kann Horror schon sein, wenn alles nur in Schwarz und Weiß dargestellt wird?

Manche Nächte sind einfach pechschwarz, ohne Sterne – und ohne Schlaf. Schmutzige Nächte, die wie Teer an dir kleben. Wie diese Nacht 1938. Boston. Der Tsunami der großen Depression fegte über die Überreste Amerikas hinweg. Elend, Hunger, Verzweiflung… Harte Zeiten”, sagte man. Die Zeiten waren schlimmer als nur hart. Und die Bar würde gleich schließen. Für mich nur ein weiterer vergifteter Tag, der seinem Ende entgegen ging. Wenn ich doch nur gewusst hätte…

White Night

In den ersten Minuten deutet noch nichts auf den Horror, der mich gleich erwarten soll. Alles ist still. Schwarz wohin der Blick auch fällt, nur einige weiße Konturen schaffen ein schemenhaftes Bild der Umgebung. Ein letzter Zigarettenzug, dann steigt unser namenloser Protagonist in sein Auto und tritt seine Reise ins Nirgendwo an. Melancholischer Jazzgesang begleitet die Fahrt auf dem leeren Highway, als plötzlich eine geisterthafte Gestalt der Ruhe ein jähes Ende bereitet. Reifenquietschen, ein dumpfer Aufprall und dann… tiefes Schwarz.

Der Schock hallte noch in meinen Knochen wieder, als das Bild des Mädchens, das aus dem Nichts erschienen war, wieder in meinen Gedanken auftauchte. Hatte ich sie getroffen? War sie tot? Ich konnte mich nicht erinnern, meine Gedanken drehten sich im Kreis: Hoffentlich hatte ich sie nicht überfahren, hoffentlich war sie noch am Leben!” Dann der Schmerz, dieser fürchterliche Schmerz an meiner Seite. Und diese Frage: Wo bin ich?

White Night

Das war ja zu erwarten – das Szenario kenne ich schließlich aus zig anderen Horrorfilmen. Ein Unfall irgendwo im Nirgendwo, keine Menschenseele… ab diesem Moment kann es nur noch schlimmer werden kann. Das Auto ist jedenfalls hinüber und von einer Leiche auch keine Spur. Stattdessen: Nichts als tiefschwarze Nacht. Einzig das flackernde Licht der defekten Scheinwerfer und in der Ferne das beleuchtete Tor eines herrschaftlichen Anwesens.

Langsam bewege ich den humpelnden Verletzten auf das ferne Licht zu und drücke dabei immer unruhiger auf der X-Taste meines Controllers herum: Sollte mir hier draußen jemand oder etwas anhaben wollen – und wir wissen alle, dass das in einem Horror-Survival Game mehr als naheliegend ist – würde ich in dem Tempo wohl nicht lange überlegen können. Aber es bringt nichts: Die Verletzungen sind zu groß. Mir bleibt nichts anderes übrig als im scheinbar verlassenen Anwesen nach Hilfe zu suchen.

Hinter dem schweren Eisentor offenbart sich mir ein Herrenhaus, wie es wohl auch in jedem Hitchcock-Film hätte vorkommen können: Ein morsch wirkendes Gebäude, das bereits durch seine Größe seine enschüchternde Wirkung nicht verfehlt und dessen knarzende Dielen bereits in meinem Kopf widerhallen, ohne es überhaupt betreten zu haben. Ein verwahrloster Garten schließt sich daran an, der zu großen Teilen mit Gräbern bedeckt ist. Ein jedes Horrorhaus braucht schließlich seinen eigenen Friedhof.

White Night

Release: 06.03.2015
Genre: Survival, Horror
Entwickler: OSome Studio
Publisher: Activision
Plattformen: PC, PlayStation 4, Xbox One

Ich klopfe an die Haustür und fühle mich in meiner ersten Annahme bestätigt: Keiner da. An dieser Stelle würde ich nun einfach umkehren und zurück auf den Highway humpeln. Das Spiel sagt etwas anderes: Ich muss einen anderen Weg ins Haus finden. Angeblich muss hier irgendwo ein Schlüssel versteckt sein – schauen wir uns also weiter um.

Bei der Kamera-Führung ist das jedoch leichter gesagt als getan: Ein falscher Schritt und schon zeigt das Spiel einen vollkommen anderen Bildausschnitt. Einmal nah, einmal fern, einmal rechts, einmal links. Wie soll man da den Überblick behalten? Zehnmal Haare-raufen später, finde ich den Schlüssel endlich – wie könnte es auch anders sein – auf dem anliegenden Friedhof. Ein paar Grabsteine untersuchen,  eine Statue verschieben: Schon offenbart das Mondlicht den Haustürschlüssel, der zuvor noch im Schutze der Dunkelheit an einem Kreuz hing.

Nun steht dem Weg ins vermoderte Horrorhaus nichts mehr im Weg – auch wenn sich immernoch jeglicher gesunder Menschenverstand in mir sträubt, schicke ich den namenlosen Held nun auf den Weg in sein Verderben…

Als die Türen sich öffneten, schien das Haus auf meine Gegenwart zu reagieren. Es roch hier wie… ein in die Enge getriebenes Tier. Der Geruch von Angst. Und doch trat ich ein. Ich hatte keine Wahl. Ich betete, dass ich hier ein Telefon finden würde. Oder Hilfe. Ich hatte nicht daran gedacht, was mit Gebeten geschieht, die an der falschen Tür landen.

White Night

Ende von Kapitel 1. Weiter geht’s hier mit Kapitel 2…



Alle Teile in der Übersicht:

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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