Geschicht(en)schreibung (Teil 2)

So unklar auch die Wurzeln der Interactive Fictions sein mögen – eines steht sicher fest: “Adventure” hat dabei einen entscheidenden Beitrag geleistet. Welche Wellen das erste Text-Adventure geschlagen hat und wie “Zork” sich darin nun wirklich einordnen lässt, erfahrt ihr im zweiten Teil der Geschicht(en)stunde…

Raus aus der Universität – rein ins heimische Wohnzimmer

1970er Jahre. Stellt euch einmal folgendes Szenario vor: Ihr habt Langweile und wollt zum Zeitvertreib kurz mal eben ein Computerspiel spielen. Und dann verwerft den Gedanken gleich wieder – denn was mittlerweile wie das Normalste auf der Welt erscheint, war zur damaligen Zeit schlichtweg unmöglich. Kaum jemand konnte sich in den 70ern einen eigenen Rechner leisten. Die waren entweder zu groß, zu teuer – oder einfach beides. Statt also “kurz mal eben den Rechner einzuschalten” bedeutete das: “Kurz mal eben” eine Reise in die nächste Universität unternehmen und hoffen, dass überhaupt ein Computer frei ist. Da überlegt man sich das gleich zweimal mit dem Computerspielen…

My own first experience with Adventure involved late-night trips to IBM with my programmer father.  The long trek through dimly-lit windowless corridors to the terminal room was practically an adventure in itself, and since you couldn’t just go and play whenever you wanted to, the game had plenty of opportunity to grow larger in the imagination in between sessions.

– Graeme Cree (Interactive Fiction Autor)

Während sich die einen die Zeit zwischen “Adventure” also noch mit Kopfkino vertrieben, tat sich in Sachen Computertechnik Mitte der 70er Jahre schon die nächste Revolution hervor: 1975 erschien mit dem Altair 8800 nämlich der erste Heimcomputer und rückte damit den Traum vom “kurz mal eben den Rechner” einschalten in greifbare Nähe. Zwar kostete der erste heimische Rechner noch ein halbes Vermögen (395 für den Bausatz oder 495 US-Dollar für das Fertiggerät – das sind heute etwa 2200 US-Dollar) – theoretisch war jetzt aber jeder  “Normalsterbliche” in der Lage, sich seinen eigenen Computer ins Wohnzimmer zu stellen. Praktisch ergab das allerdings kaum Sinn, denn wirkliche Wunderwerke konnte der Altair 8800 noch nicht vollbringen. Das änderte sich aber schnell – wie man das eben von technischen Entwicklungen kennt: Auf eine Erfindung folgt bald die nächste und der Altair 8800 war nach ein paar Jahren schon wieder Geschichte.

Das Vermächtnis von “Adventure”

Von dem technischen Wandel konnten auch die Interactive Fictions nur profititieren. Was nützt schließlich der schönste Heimcomputer, wenn man nichts hat, wofür man ihn gebrauchen kann? So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Entwickler versuchten, das Spielerlebnis des beliebten “Adventure”-Games auf die heimischen Rechner zu portieren – und das zunächst auch im wörtlichen Sinne: Bei den ersten Text-Adventures handelte es sich nämlich um Portierungen des Klassikers, um damit direkt an dessen vergangene Erfolg anknüpfen zu können.

Das große Problem an der Sache: Die damaligen Heimcomputer waren zu dem Zeitpunkt weit von der Rechenleistung eines universitären Hochleistungscomputers entfernt. “Adventure” musste also auf seine grundlegensten Züge vereinfacht werden, um überhaupt auf den Heimcomputern zum Laufen gebracht zu werden. Das Resultat waren dann Spiele wie “Adventureland” (1978), bei denen die Umgebung nicht – wie es ursprünglich bei “Adventure” der Fall war – in eins, zwei Zeilen beschrieben wurde, sondern eben nur in wenigen Wörtern:

Forest

You are in a forest.

Obvious exists: North, South, East, West, Up.

You can also see: trees

Trotz seiner einfachen Struktur war “Adventureland” ein großer Erfolg – die mangelnde Konkurrenz macht’s möglich. Sonderlich einfallsreich oder spaßig war das Text-Adventure nämlich nicht, das mit seiner hölzernen Art schnell frustrierend werden konnte. Auch heute besitzt “Adventureland” eigentlich nur einen besonderen Stellenwert, weil es die erste Interactive Fiction für einen Heimcomputer was und das allein reicht oft schon für Ruhm und Ehre. Den versuchte Entwickler Scott Adams übrigens noch einige Jahre mit seiner frisch gegründeten Firma Adventure International auszukosten, indem er sein Kind in den unterschiedlichsten Formen auf andere Systeme portierte – bis er dann von Unternehmen wie Infocom überrannt wurde, die Firma, die uns die bekannte “Zork”-Trilogie beschert hat.

“Zork” oder das goldene Zeitalter von Infocom

Eigentlich hat es mit “Zork” angefangen, wie Ende der 1970er Jahre jedes Text-Adventure entstanden ist: Mit dem Hype um “Adventure” und durch Hacking. Anstatt aber nur eine weitere billige Kopie des Klassikers zu schaffen, hatte das künftige Infocom-Team (das damals noch am MIT forschte) weitaus größere Pläne im Kopf. Sie wollten eine völlig eigenständige Interactive Fiction kreiieren, die ihren Vorgänger sogar übertreffen sollte. Und der Plan ging auf: Nach vier Jahren Feinschliff, zig Überarbeitungen und umso mehr Hacker-Eingriffen war die finale Version von “Zork” endlich fertig gestellt und war tatsächlich um ein vielfaches größer und mit einer derartigen Komplexität versehen, wie sie “Adventure” sich nur hätte erträumen können. Der Spieler konnte sich sogar mit dem Boot fortbewegen, sodass “Zork” in vielen Punkten dem entsprach, was wir heute unter “Open World”-Spielen bezeichnen.

Viel beeindruckender als seine Größe, war aber “Zorks” Sprachgewandheit: Die jahrelange Forschung am MIT zahlte sich eben aus, denn “Zork” verstand erstaunlich viele Eingaben des Spielers und besaß zudem selbst ein Vokabular von über 900 Wörtern. So konnte eigentlich jede plausible Eingabe bearbeitet werden – und manchmal sogar der ein oder andere Unsinn. Versucht doch mal das Spiel zu begrüßen, zu seufzen, hüpfen oder euch gar selbst eigenhändig umzubringen. Das Ergebnis ist erstaunlich unterhaltsam:

User: Hello

Zork: Hello.

User: Hello

Zork: Good day.

User: Hello

Zork: Nice weather we’ve been having lately.

User: Zork

Zork: At your service!

User: Sigh

Zork: You’ll have to speak up if you expect me to hear you!

User: Scream

Zork: Aaaarrrrgggghhhh!

User: Jump

Zork: Wheeeeeeeeee!!!!!

User: Kill self with hands.

Zork: Suicide is not the answer.

So kreativ und wegweisend “Zork” mit seinen sprachlichen Fähigkeiten auch war, spielerisch ist es eher frustrierend. Eine Handlung ist im Grunde nicht vorhanden. Der Spieler sammelt einfach Gegenstände, um Gegenstände und Punkte zu sammeln – wobei die Suche zudem noch durch die “beeindruckend” große Welt unnötigt erschwert wird, die in ihrer Struktur jeglichen Regeln der Geographie widerspricht. In der Praxis ist “Zork” also unspielbar. Warum dann der Erfolg?

“Zork” ist wohl das perfekte Beispiel für “zur richtigen Zeit, am richtigen Ort” – mit der richtigen Verkaufsstrategie. Anfang der 1980er Jahre war die Heimcomputer-Revolution zwar bereits in vollem Gange, mit Scott Adams “Adventureland”-Nachfolgern hatten die Rechner Softwaretechnisch aber immernoch kaum etwas Anspruchsvolles zu bieten. Der verfügbare Arbeitsspeicher war einfach noch zu gering – ein Problem, für das das neu gegründete Infocom eine Lösung parat hatte: Die sogenannte “Z-machine”, eine “virtuelle Maschine”, die speziell komprimierte Dateien lesen konnte. Die “Z-machine” wurde einmalig installiert und konnte anschließend alle Spiele von Infocom problemlos lesen. Auf diese Weise konnte die Firma komplexe Spiele auf Großrechnen entwickeln, anschließend in eine extrem komprimierte Sprache umwandeln und durch die “Z-machine” auf allen möglichen Heimcomputern zum Laufen gebracht werden (aus diesem Grund wird übrigens auch heute noch zum Abspielen von Interactive Fictions genutzt).

Als “Zork I” daher 1981 auf dem Markt erschien war es zwar sicherlich immer noch nicht das ausgeklügelste Text-Adventure. Dank der “Z-machine”  holte es aber alles aus den Heimcomputern, was überhaupt möglich war – und bescherte Infocom seine knapp 10-jährige Pioneerstellung im Bereich Interactive Fiction. Die konnte nämlich in den folgenden Jahren mit dem “Zork I”, den Folgeteilen “Zork II” und “Zork III” (das Originalspiel wurde auf Platzgründen zudem noch in drei Teile aufgegliedert) und vielen anderen Veröffentlichungen große Erfolge feiern.


Übrigens konnte “Zork” seinen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahr nicht nur durch “The Big Bang Theory” steigern. “Call of Duty”-Spielern dürfte das Text Adventure vielleicht auch ein Begriff sein: “Zork” kann nämlich als Easter Egg in dem Shooter “Call of Duty: Black Ops” gespielt werden. (Dazu muss der Spieler im Hauptmenü eine bestimmte Tastenkombination drücken und anschließend mit dem Avatar zu einem alten Rechner laufen)

… und was ist dann passiert?

Die Antwort ist einfach: Bilder. In den 1980er Jahren waren die Interactive Fictions von Infocom damit definitiv der Inbegriff von Sprachgewandheit. Während sich das Unternehmen aber noch auf eine rein textliche Darstellungsweise konzentrierte, um damit so komplexe Spiele wie möglich schaffen zu können, tat sich bei vielen anderen Spielen schon eine andere Entwicklung hervor. Die wollten sich nämlich langsam von der buchstabenlastigen Darstellungsform entfernen und stattdessen auch grafische Elemente einbinden. Angefangen mit simplen Linien, wuchsen mit dem Speicherplatz der folgenden Heimcomputer auch die Farben im Spiel – und rückten damit immer mehr den Text in den Hintergrund. Ende 1980er war dann die Infocom-Ära passé (das Unternehmen musste 1989 seine Insolvenz anmelden) – und mit ihr auch die Interactive Fictions.

Oder etwa doch nicht?


Teil 1 / Teil 2a / Teil 2b / Teil 3

Formen von Interactive Fiction:

Spielebuch / Interaktiver Comic / Interaktives Hörspiel / Text Adventure

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

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