Noch mehr Drama im Kopf

Wie am ersten Tag des Festivals 4+1‘ gab es wieder Einblick in acht dramatische Versuche von Schreibschülern. Das Schauspiel Leipzig hat jeweils vier Studenten von sechs Schreibschulen eingeladen hier ihre dramatischen Texte zu präsentierten. Gestern ging es in Runde 3 und 4, wie am Tag zuvor, nur eine Stunde früher.

Als erstes betrat das Literaturinstitut Hildesheim die Bühne, die vor allem für ihren experimentellen Zugang bekannt sind. Das waren ihre Texte:

  1. Weil Vielstimmigkeit modern ist, kommentiert hier eine Vielstimmigkeit (ist es die Gesellschaft?) das Leben der jungen Breda, die beim Krankenhausjob einen Mann kennen lernt.
  2. Hier wird’s meta: Ein kleines Theater gerät in Bedrängnis, weil der Schauspieler von der Leiter gefallen ist. Beim Versuch, das Stück ändern zu lassen, stellt sich heraus, dass der Kommissar der Autor ist und es um genau dieses Stück. Man ist ja postmodern und alles steht auf dem Kopf.
  3. Sehr kompliziert und etwas abgehoben (ich habe es nicht so recht verstanden). sehr genaue Tagebucheinträge, Stimmen von Dorfbewohnern und Gespräche von drei seltsamen Gestalten. Als ganzes gelesen bestimmt sehr viel klarer.
  4. Eine Dystopie, die mich sehr ans cocooning erinnert hat: Ein paar lebt auf eigenen in einem Zimmer, aus dem sie nicht mehr raus können und verlieren den Bezug zur Realität.

Zum ersten Mal in diesem Jahr war auch das Institut für Sprachkunst aus Wien. Hier gibt es immer einen Kurs zu szenischem Schreiben. Das Hat man gemerkt, auch wenn manche Texte zu gut als Lesung funktioniert haben und andere, sehr viel Mitdenken erfordert haben. Das waren die Szenen:

  1. Im Wald: Eine Famile zieht sich komplett zurück und ein Bauarbeiter wird zum Baum. Das Verhältnis zur Natur ist uns verloren gegangen.
  2. In der Bahn: Ein Querschnitt durch die Bevölkerung, gezeigt in einer Art Simultanszene. Voller typischer Zugszenen, die nur zeigen wie desillusioniert und hoffnungslos der Mensch ist.
  3. Am Familientisch: auch hier typische Szene einer Familie mit schnellen Schnitten und Wechseln. Leider sind die vielen stummen Figuren nicht zu sehen. Gedanken darüber, wie sich die Geschichte weiterträgt.
  4. In der Wohnung: Die alte Freundin kommt zu Besuch, redet über ihre psychischen Probleme, aber er will sie gar nicht hier haben. Sehr pointierte Dialoge, die von philosophischen Monologen der Körper unterbrochen werden.

Auch hier steht da natürlich die Frage: Was verbindet die Szenen? Auch hier finden wir die Themen Tod und Liebe, aber vermutlich kommt man da gar nicht vorbei, das ist einfach das Thema. Deutlicher wird hier noch diese Suche, sich in der Welt zurcht zu finden. Die Figuren in diesen kurzen Dramen haben keine Sicherheiten mehr, wissen nicht mehr wohin. Das muss nicht heißen, dass es die AutorInnen auch so geht, aber auch sie überlegen, was es mit der Welt auf sich hat. Und da verliert jeder inzwischen den Überblick über die Realität.

Wolf in Columbo-Pose: Oh Sir, ich wollte Sie nicht beunruhigen. Machen Sie sich keine Gedanken. Der Benjamin ist ja nicht wirklich tot. Ist doch alles nur Theater. Sie wissen schon: Behauptung. So tun als ob vor Leuten. Müssten Sie doch kennen als Dramaturg

– Der Autor in: “Die Misanthropen” von Michael Wolf

Morgen versuch ich mal noch einen Überblick, wenn ich die Vielstimmigkeit in meinem Kopf sortiert bekomme. Jetzt gibt es erstmal noch mehr Lesungen, also Runde 5 & 6.

Thilo
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Thilo

Hat sich von einer anfänglichen Faszination für Bücher, über erste Leseerfolge zum Bibliomanen entwickelt. Eigentlich hat der Kulturjournalist nur aus Langeweile gelesen, hier mal ein Buch im Zug, mal eines im Urlaub, mal ein bisschen vorm Einschlafen. Nach unausgegorenen Berufswünschen wie Koch, Hornist oder Schauspieler, verschlägt es ihn zum Studium der Theaterwissenschaft nach Leipzig und in die Redaktionsräume des Ausbildungsradios mephisto 97.6. Ganz beiläufig lässt er hier fallen, dass er eigentlich ganz gerne mal ein Buch lese. Schon einen Monat später leitet er – hopplahopp – die Literaturredaktion und Lesen wird zum Exzess (in den Tagen vor Buchmessen liest er gerne Nächte und Tage durch). Inzwischen spricht er hin und wieder bei MDR Kultur und dem Deutschlandfunk über Literatur, Theater, Musik, neue Medien und alles was die Leute (oder: ihn) interessiert. Sein Ziel: Der nächste Marcel Reich-Ranicki (und ein bisschen Gerhard Stadelmaier) werden – nur besser aussehend … und vielleicht etwas umgänglicher. So lange vergnügt er sich weiter auf schraeglesen.de

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