Ein wissenschaftlicher Sonderling – Teil 1

Die gamescom ist längst vorbei und die “Replaying Japan 2016”-Konferenz liegt schon drei Wochen zurück. Nachdem ich also endlich alles in Ruhe Revue passieren lassen konnte, wird es Zeit für einen ausführlichen Rückblick auf die 4. Konferenz für japanische Videospielforschung. Ein Blick auf einen wissenschaftlichen Sonderling.

Ich muss gestehen, dass ich sicherlich kein Konferenz-Profi bin. Meine Besuche kann ich wohl noch an zwei Händen abzählen. Vielleicht auch nur an einer. Aber wenn ich während meiner kurzen wissenschaftlichen Laufbahn etwas gelernt habe, dann ist es, dass auf Beamer garantiert kein Verlass ist. Garantiert nicht. Insofern war mein erster Eindruck der 4. Replaying Japan Konferenz eigentlich ganz gewöhnlich: Der Beamer ist wieder einmal ausgefallen – und das, obwohl uns doch versichert wurde, dass so etwas im Leipziger Neuen Rathaus “garantiert noch nie vorgekommen”. Garantiert nicht. Naja, einmal ist immer das erste Mal. Für mich war es vor allem mein erster Vortrag vor einem internationalen Konferenzpublikum. Videospielwissenschaftler aus aller Welt mit einem Hang zur japanischen Videospielkultur – auch Videospiellegenden wie Pac-Man-Vater Tōru Iwatani. “Ganz gewöhnlich” war es also nun doch wieder nicht.


Game Studies – braucht man das?

Was hatte ich eigentlich auf einer wissenschaftlichen Konferenz zu suchen? Das hatte vor allem berufliche Gründe: Seit einigen Jahren beschäftige ich mich während meines Studiums wissenschaftlich mit Videospielen, plane in Zukunft auch meine Doktorarbeit über die digitalen Spiele zu schreiben. Und bevor jetzt jemand fragt:  Ja, sowas kann man wirklich erforschen. Die Videospielindustrie ist ein Milliarden-Geschäft. 2014 haben Videospiel laut der Süddeutschen Zeitung um die 87 Milliarden US-Dollar Umsatz verbuchen können – womit sogar die Filmindustrie überrundet wäre.  Mittlerweile spielen rund 40 Prozent der Deutschen regelmäßig Videospiele (in der Altersgruppe von 14-29 Jahren sind es sogar 73 Prozent):

SüddeutscheGrafik
Laut der Süddeutschen Zeitung spielen rund 42 Prozent der Deutschen regelmäßig Videospiele. (Quelle: Süddeutsche Zeitung)

Videospiele sind also ganz klar ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft – ob wir es nun mögen oder nicht. Nun könnten wir das Ganze einfach als dumme Spielerei oder gar Teufelszeug verfluchen, das zu Gewalttaten verführt. Wir könnten Videospiele aber auch als das Kulturgut akzeptieren, weil sie es sind, und vielleicht sogar zum Positiven nutzen. Teilweise werden Videospiele nämlich bereits als Therapiemethode in der Medizin eingesetzt – auch wenn ich den sogenannten “Serious Games” etwas skeptisch gegenüberstehe. (Kann ein Spiel wirklich ernst sein? Geht dann nicht irgendwie der Sinn an der Sache verloren: der Spaß? Das Thema kam natürlich auch auf der “Replaying Japan” zur Sprache.) Studien des Max-Planck-Instituts haben dagegen gezeigt, dass Videospiele im Allgemeinen bestimmte Areale des Gehirns trainieren und verbessern. Es stellte sich heraus, dass der Nintendo-Klassiker “Super Mario 64” das räumliche Vorstellungsvermögen der Testpersonen verbessert werden konnte. Mittlerweile sollte eigentlich allen klar sein, dass Videospiele weitaus mehr als nur ein “bedrohliches” Kinderspielzeug sind.

Tja, dem ist aber nicht so. Die Diskussionen gehen weiter (während des Amoklaufs in München war die alte “Killerspiel-Debatte” mal wieder aktuell). Und auch in der Wissenschaft haben Videospiele beziehungsweise die Game Studies immer noch mit ihren Ruf zu kämpfen. Los geht der unerbitterliche Kampf der Game Studies um einen Ruf als ernstzunehmende Forschungsdisziplin. Die zentrale Frage: Wohin stecken wir diese Spielerei? Ist das Film? Ist das Theater? Ist das Musik? Ist das Kunst? Kann das weg – in eine seperate Disziplin? Aber was ist mit der Methodik, den Begriffen? Immersion, Telepräsenz – oder mit dem Leihkörper vielleicht doch eher wieder zurück zum Film? — Fragen über Fragen.


Sonderling Japanische Videospielkultur

Die Videospielforschung ist also alles andere als etabliert und geordnet. Und zwischen all den Fragen, die sich sowieso schon durch die Game Studies winden, will jetzt “Replaying Japan” mit der japanischen Videospielforschung ausgerechnet noch einen weiteren Sonderling einschleichen?

Ein Blick auf die bisherige Forschung zeigt aber, dass das tatsächlich mehr als nötig ist: Bisher haben sich die Game Studies nämlich größtenteils mit westlichen Videospielphänomen beschäftigt. Zwischen Online-Spielen wie “World of Warcraft”, “GTA”, “Assassins Creed”, “Call of Duty” und einigen japanischen Klassikern wie “Silent Hill” fällt ein Großteil der japanischen Videospielkultur dabei oft unter den Tisch. Ein Beispiel bei der diesjährigen “Replaying Japan”: Die sogenannten Otome-Games; Dating-Spiele, die sich in Japan besonders bei der weiblichen japanischen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuen, außerhalb des Landes aber eher unbekannt sind.

Schuld ist wohl vor allem die klaffende Sprach- und Kulturbarriere: Viele japanische Videospiele erscheinen erst gar nicht auf dem westlichen Teil des Globus, werden nicht übersetzt und sind damit höchstens durch (fehlerhafte und wohl auch mehr oder minder legale) Fan-Übersetzungen für den westlichen Markt zugänglich. In der Wissenschaft gestaltet sich dann außerdem noch der Austausch mit anderen japanischen Forschern schwierig und Publikationen aus Japan sind oft ebenfalls nur in der Originalsprache verfügbar. Wer sich also bisher mit japanischen Videospielen beschäftigen wollte und so seine Probleme mit Hiragana-, Katakana- und Kanji-Zeichen hat, ist im Grunde aufgeschmissen. Und so geht die japanische Videospielkultur einfach durch kulturelle Barrieren in der Forschung unter – obwohl Japan die Videospielindustrie so entscheidend prägt. Ohne das Land der aufgehenden Sonne würden Videospiele in der Form heute sogar nicht mehr existieren…

Geschichtsschreibung: Der große Video Game Crash

USA zwischen 1983 und 1985. Zahlreiche Videospielkonsolen- und Heimcomputerhersteller müssen bankrott anmelden, darunter auch der langjährige Marktführer Atari, Inc. Ein Überangebot an billigen Soft- und Hardwareherstellern, schlechte Videospielklone… Der nordamerikanische Markt stagniert. 1985 folgt dann die Rettung – unter anderem durch einen italienischen Klempner, der aus Japan eingeschifft wird: Super Mario Bros. und die japanische Videospielkonsole Nintendo Entertainment System (NES) werden bald zum Verkaufschlager und kurbeln die amerikanische Videospielindustrie wieder an.

Europa war von dem großen Zusammenbruch übrigens kaum betroffen. Zu der Zeit hatte der C64 bereits die heimischen Wohnzimmer erobert.

Und genau an dieser Kulturbarriere setzt “Replaying Japan” an – über die ihr am Wochenende hier mehr lesen könnt.

Caecilia
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Caecilia

Ehemaliger(?) "Final Fantasy"-Freak. Hat durch die Liebe für das Japanische Rollenspiel zum Videospiel gefunden. Nachdem der Traum vom Leben im Land der aufgehenden Sonne schon am Sushi-Hass zerplatzte, fand die Musik- und Theaterwissenschaftlerin mit den Game Studies einen passenden Ersatz; ging ihren Dozenten deswegen permanent mit Hausarbeiten zu Videospielmusik, Avatartheorien oder Bewegungssteuerungskonzepten auf den Leim; versuchte sich nebenher als Redakteurin beim RETRO-Magazin oder stockte ihre Spielesammlung mit Aushilfsjobs bei GameStop auf. Ihr großer Traum: Mit einer Professur das eigene Hobby durch die Uni finanzieren zu lassen. Bis dahin tobt sich eben auf schraeglesen aus und bezahlt die Spiele vorerst aus eigener Tasche. Wegen ihrer Vorliebe für Indie Games hält sich der finanzielle Aufwand dabei zum Glück in Grenzen.

3 Kommentare:

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